Mittwoch, 1. Juni 2011

Nur Zuschauer?




Dank 3-D-Brillen ist es möglich, einen Film nicht bloss auf der Leinwand
anzuschauen, sondern sich mittendrin zu fühlen im Geschehen, hautnah dabei.
Und doch ist alles nur Illusion. Wenn der Film zu Ende ist, sitzen wir
Zuschauer immer noch in derselben Reihe auf dem gleichen Platz. Gott sei
Dank, möchte man sagen, denn wer weiss, ob wir aus so einem Film sonst
wieder heil herauskämen. Gott sei Dank auch, weil wir als Zuschauer nicht
schuldig werden können.

Im realen Leben geht das nicht. Wenn wir Zeugen eines Geschehens werden,
können wir nicht einfach nur Zaungäste bleiben.

In der vergangenen Woche konnte ein psychisch kranker Mann in Basel von der
Polizei nach 48 Stunden endlich dazu bewogen werden, das Dach seines Hauses
zu verlassen. Das riesige Polizeiaufgebot war aber vor allem wegen der
unzähligen Gaffer nötig geworden.

Wer Zeuge wird, sollte die Rolle des Zuschauers aufgeben. Sonst bleibt es
beim Gaffen und Beklatschen, wie folgende kleine Geschichte zeigt:

In einer Stadt führte ein Seiltänzer in schwindelnder Höhe seine Kunststücke
vor. Zum Schluss die Hauptattraktion: Er schiebt eine Schubkarre über das
schwankende Seil. Als er sicher auf der anderen Seite angekommen ist, fragt
er die Zuschauer, ob sie es ihm zutrauen, die Karre auch wieder zurück zu
schieben. Die Menge klatscht begeistert Beifall. Dann fragt er einen
einzelnen, der unten am Mast steht: „Sie, trauen Sie es mir auch zu, dass
ich die Karre wieder zurückschiebe?“ „Aber sicher!“ ruft der zurück und
klatscht. Der Akrobat sagt: „Dann kommen Sie doch herauf und steigen Sie
ein, dann schiebe ich Sie hinüber!“ – „Nein“, sagt der erschrocken. So hatte
er es nicht gemeint, er wollte doch Zuschauer bleiben.

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