Dienstag, 10. Mai 2011

Streithähne

Streithähne soll man nicht allein lassen

Am frühen Morgen, noch im Halbschlaf, gehe ich die Rampe hoch, die in unserm
Bahnhof zu den Bahnsteigen führt. Es ist viel zu früh für grosse
Unternehmungen, und doch passiert es: Zwei Männer, der eine kommt vom Zug,
der andere wird einsteigen, bereiten sich auf einen regelrechten Streit vor.
Noch stehen sie vier, fünf Meter auseinander und der, der gehen sollte, geht
nicht und der, der in den Zug einsteigen sollte, steigt nicht ein. Sie sind
einander zugewandt, ohne jegliches Gefühl von Zuwendung, und beginnen zu
kochen, Worte, wie Schwertschläge sind schon ausgeteilt, man sieht es, beide
steigern sich in ihrer Wut und schicken sich an, aufeinander los zugehen. Es
könnte durchaus handgreiflich werden. Es ist so früh am Morgen. Soll ich
mich einmischen in die inneren Angelegenheiten dieser Herren oder nicht. Ich
hör schon die liebevolle Anfrage meiner Tochter: „Musst Du Dich immer
einmischen!“ – Ja, eigentlich mag ich nicht und viel
zu früh ist es auch, sowohl für Streiten wie auch für Sich-Einmischen.
Die beiden sind jetzt nur noch ca drei Meter auseinander. Ich könnte mich an
ihnen vorbeischleichen, sollen sie sich die Köpfe einschlagen. Es ist immer
noch früh.
Und doch Müdigkeit hin oder her, der Mahnung meiner Tochter zum Trotz grüsse
ich nicht nur, sondern sage etwas in Richtung „Ist es nicht viel zu früh zum
Streiten?“ – Beide erstarren, erkennen schlagartig, dass sie nicht mehr
allein sind: Dass einer zuschaut und sich einmischt, bringt zur Besinnung.
Ich steige ein, hinter mir der eine „Kampfhahn“. Er hat sich abgewendet und
dadurch sich und dem andern mehr Zuwendung erwiesen als er sich wohl bewusst
ist. Denn, so meint er: Er sei grob beleidigt worden.
Vielleicht ist das Grund genug einen handfesten Streit vom Zaun zu brechen,
aber bitte nicht so früh. – Ich bin froh, dass ich mich überwunden und
eingemischt habe. Vielleicht habe ich einen Streit verhindert, vielleicht
wäre es gar nicht dazu gekommen. Wichtig ist: Beide sind auseinandergegangen
ohne sich weitere Schimpfworte an den Kopf zu werfen. Das ist doch ein guter
Start in einen neuen Tag. Einmischen ist gar nicht so übel.
Fr.Berthold

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